von Mandy Geppert
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18. Februar 2020
-Südafrika 2012- Endlich angekommen. Ob ich überhaupt fliegen kann, stand bis kurz vor Abreise nicht fest, hatte ich mir nämlich kurz zuvor einen fiesen Infekt im asiatischen Ausland geholt und durfte ein paar Tage in Quarantäne verbringen. Glücklicherweise doch kein Malaria, Hepatitis oder ähnliches. Aufregend und nervenaufreibend. Am Flughafen werde ich von einem Mitarbeiter der Universität, an der ich Supervision bekommen werde und in dessen Studentenwohnheim ich wohnen werde, abgeholt. Die Uni ist eine Partnerstätte meiner holländischen Uni. Da ich einige Zeit später anreise als alle anderen wurden die Arbeitsplätze bereits vergeben und ich hatte keine Entscheidungsfreiheit mehr. Ich hatte aber Glück, denn ich wurde genau da eingeteilt wo ich hin wollte. Halbtags in eine der größten Psychiatrien Südafrikas und zudem in einer Kindertagesstätte im Township. Vor allem die Psychiatrie interessiert mich brennend, denn dies war auch im Studium immer mein Schwerpunkt. Zwei weitere Studenten arbeiteten in den gleichen Einrichtungen wie ich. In der Psychiatrie durften wir uns aussuchen welche Stationen uns besonders interessierten und wo wir gern eingeteilt werden würden. Schnell wurde deutlich das wir eher als „fertige“ Kunsttherapeuten gesehen wurden und wir sehr selbstständig arbeiten würden. In einer deutschen Psychiatrie nicht denkbar, dass Studenten im dritten (vorletzten) Studienjahr einfach „auf die Patienten losgelassen werden.“ Auf der einen Seite fand ich das schade, hätte ich mir doch gerne Methoden von erfahrenen Therapeuten abgeschaut, auf der anderen Seite eine tolle Herausforderung von der ich sicher viel lernen konnte. Die Abteilungen, in denen wir arbeiten würden, waren: Allgemeine Psychiatrie Forensik Drogenentzugsprogramm In der Abteilung „Allgemeine Psychiatrie“ waren Patienten mit Erkrankungen mit psychiatrischen Diagnosen wie z.B. Borderline, Schizophrenie, Psychose, Depression, Essstörungen... In der Abteilung „Forensik“ waren Patienten, die eine Straftat begangen haben und auch eine psychiatrische Diagnose haben. Statt Gefängnis also Psychiatrie. Die Straftaten waren in den allermeisten Fällen Mord und Vergewaltigung, manchmal auch Mehrfachmord. Selten ging es um illegale Geldgeschäfte o.ä. Die „SATU“- Substance Abuse Treatment Unit- war ein vierwöchiges Drogenentzugs-Programm. Viele Menschen die alles in Ihrem Leben aufgrund von Drogenmissbrauch verloren hatten – oder auch nie etwas hatten. Der lange Drogenkonsum stand den meisten ins Gesicht geschrieben, eingefallene Gesichter, zernarbte Körper, junge Menschen sehen aus wie mind. 30 Jahre älter. Viele litten unter Vergewaltigungen in der Vergangenheit oder dem Verlust eines Familienmitglieds durch Mord. So hatte ich das Gefühl, auf der einen Seite mit den Tätern und auf der anderen Seite mit den Opfern zu arbeiten. Aber so einfach zu unterteilen ist das natürlich nicht. Die erste Therapiestunde in der Forensik steht an. Ich frage mich wie ich mich dabei wohl fühlen würde, war ich ja zuvor noch nie (zumindest bewusst) einem Mörder oder Vergewaltiger begegnet. Es war eine Gruppentherapie mit, ich glaube, vier Patienten. Zunächst alle recht zurückhaltend. Sie sprachen gebrochenes Englisch, ich war aber überrascht wie gut. So saß ich dann also vor einer Gruppe Schwerstkrimineller. Es fühlte sich aber nicht so an. Ich sah wie immer den Patienten, den Menschen hinter der Erkrankung, hinter der „Tat“. Und die Arbeit machte Spaß. Ich habe schnell bemerkt, dass viele Methoden die wir in Holland / Deutschland anwendeten hier nicht zu gebrauchen waren. Abstraktes Denken und die kognitive Fähigkeit eine Aufgabe zu verstehen und dann umzusetzen war bei einigen extrem eingeschränkt. Es lag nicht an der Sprache, sondern wahrscheinlich an mangelnder Bildung aber auch viel an der Krankheit, lebten einige Patienten in ihrer ganz eigenen Welt. Zu dem kam oft, dass die Patienten in der Forensik und Allgemeinen Psychiatrie einen Haufen Medikamente bekamen, so dass sie oft wie betäubt waren, manchmal nicht auf Fragen antworten konnten und leer in den Raum starrten. Trotzdem fanden die Patienten in der Kunst ein Mittel zum Ausdruck. Die Fortschritte waren klein, aber vorhanden. Ich freute mich auf die Therapiestunden, es wurde gelacht, getanzt, gegrübelt und geweint. Es kamen immer wieder neue Patienten dazu, andere mussten die Therapie aus irgendwelchen Gründen abbrechen. Nach einigen Wochen, nachdem bekannt wurde, dass eine Ergotherapeutin beinahe von einem Patienten vergewaltigt wurde, kam bei uns die Erkenntnis auf, dass wir vielleicht einen Security während der Therapie im Raum haben sollten. Als wir danach fragten wurden wir verwundert angeschaut: „Wie? Ihr seid ohne Security während der Therapiestunden?“ In Deutschland undenkbar, dass so eine Sicherheitslücke passiert, schätze ich. Ab da war also immer jemand mit im Raum. Angst etwas könnte passieren hatte ich aber, meine ich zumindest rückblickend, nie. Auch wenn durchaus mal Patienten halluzinierten, sich stritten, oder mit stolz verkündeten ihre Mutter getötet zu haben. Trotzdem waren die Patienten irgendwo und auf irgendeine Weise liebenswert. Als ich mich nach einem knappen Jahr Arbeit von Ihnen verabschiedete musste ich weinen. In der SATU hatten wir nur vier Wochen Zeit um den Patienten wieder auf die Beine zu helfen. Eine sehr kurze Zeit und die Therapiestunden waren dementsprechend auch strukturierter als in der Forensik. Themen waren Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, Selbstwertgefühl, der Umgang mit Emotionen und Abschied nehmen. „Was möchte ich ändern und warum? Wie vermeide ich Trigger? Was tut mir gut und was nicht?“. Ziele wurden ausgearbeitet und formuliert. Die Kunsttherapie integrierte sich recht schnell als neuer, erfolgreicher Teil des Programms. Die Psychiatrische Anstalt war generell ziemlich anders, als ich es aus Deutschland kannte. Während ich in meinem Studium lernte, dass die Würde des Patienten oberste Priorität hat, er sich als Mensch wahrgenommen fühlen muss und man ihm mit Empathie gegenübertreten soll, stand der Stempel „Patient“ den Patienten in der südafrikanischen Psychiatrie fett auf die Stirn geschrieben. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn jeder Patient bekam Patientenkleidung (im Prinzip ein Schlafanzug, den sie den ganzen Tag anhatten) bei dem auf jedem Kleidungsstück „Patient of …...psychiatric hospital“ stand. Auch eine Mütze, mit Aufdruck direkt über der Stirn. Die forensischen Abteilungen der Klinik erinnerten mich (tut mir Leid für den Ausdruck) an einen Zoo. Das erste was man sah, war eine riesige Glaswand, hinter der ein grauer Innenhof war. Kaum grün, keine Stühle, Bänke, Tische..., keine Beschäftigungsmöglichkeiten. Dies war der Hauptaufenthaltsort der Patienten. Therapiestunden gab es wenig und so war es tatsächlich so, dass die meisten Patienten einfach den gesamten Tag auf diesem Hof verbrachten. Würdevoll war das irgendwie nicht. Die „Zimmer“ glichen eher Gefängniszellen aus alten Filmen. Ja, ich weiß, die Patienten waren ja auch kriminell, aber es unterschied sich einfach so viel von dem was ich gelernt habe. Die Reflexionsrunden mit den Patienten liefen auch ganz anders ab. So saßen fast alle Krankenschwestern, Ärzte und Therapeuten in einem großen Halbkreis im Raum. Davor stand ein leerer Stuhl auf den sich dann ein Patient setzte, wie auf dem Präsentierteller und dann wurde über Krankenakte, Entwicklungen, Fehltritte usw. diskutiert. Klar, die meisten Patienten waren sehr eingeschüchtert von der Situation. Alles in allem musste ich viele meiner ethischen Grundlagen ablegen und mich anpassen. In meinen Therapiestunden und im kleinen Rahmen versuchte ich natürlich weitgehend das umzusetzen was ich, zumindest in meinem Beruf als Therapeutin, für richtig halte: jeden Menschen mit Würde und Respekt zu begegnen und ihn als Mensch wahrzunehmen. Rückblickend war die Zeit dort unheimlich lehrreich. Ich habe einige, hier selbstverständliche, Dinge zu schätzen gelernt und fand meine Position zwischen Distanz und Empathie, scheinbaren Tätern und Opfern, geplanten und nicht-planbaren und irgendwie auch zwischen Europa und Südafrika.